Sonntag, 16. Februar 2025

Sonntag

 


Der Schnee ist geschmolzen, langsam läßt mich der grippale Infekt aus seinen Klauen und ganz allgemein ist mir sehr nach Frühling. In den Läden stehen Blumensamen, Saatgut für Gemüse, Anzuchthilfen und alles andere, das der geneigte Gärtner, die freundliche Gärtnerin für die Aussaat von Grünzeug braucht. Noch greifen die Kunden nicht zu, die Minusgrade sind schlecht für dieses Geschäft aber die bunten Tüten sind da und ich werfe begehrliche Blicke auf die Auslagen.

Bis es soweit ist, lese ich natürlich - und stricke und tue dies und das in meinem Artjournal, meinem Refugium für alles mögliche - und meinem Ort für Kleister, Papier und Schere. Es ist ein kleiner Raum für Erinnerungen, der meinem Gedächtnis auf die Sprünge hilft. Bei den beiden folgenden Büchern wäre es z.B. nötig. Gelesen habe ich sie schon vor Wochen und wollte ein wenig darüber schreiben. doch irgendwie sind sie mir durch die Lappen gerutscht. Also erzähle ich heute ein wenig über sie.


Die Autorin Velma Wallis, ist eine indigene Schriftstellerin aus Alaska und gehört dem Volk der Gwich'in an. Ihr bekanntestes Werk ist Zwei alte Frauen, eine eindrucksvolle Erzählung, die auf einer mündlichen Überlieferung ihres Volkes basiert. Das Buch erzählt die Geschichte zweier älterer Frauen, die während eines harten Winters von ihrem Stamm zurückgelassen werden, weil sie als nicht mehr nützlich gelten. Doch statt zu sterben, kämpfen sie ums Überleben und beweisen beeindruckende Stärke und Widerstandskraft.

Wallis’ Bücher greifen  Themen wie Überleben, Gemeinschaft und den Konflikt zwischen traditionellen indigenen Lebensweisen und der modernen Welt auf. Neben Zwei alte Frauen hat sie auch Das Vogelmädchen und der Mann, der der Sonne folgte geschrieben. Heute möchte ich Gedanken zu dem Buch  Zwei alte Frauen teilen. Es ist eine Legende von Verrat und Tapferkeit, die mich sehr berührt hat.

Die Handlung:

Die beiden Frauen, Ch’idzigyaak (etwa 80 Jahre alt) und Sa’ (etwa 75 Jahre alt), gelten als schwach und eine Last für die Gruppe. Als ein besonders harter Winter über das Land zieht und die Nahrung knapp wird, trifft der Häuptling die grausame Entscheidung, sie zurückzulassen, um den Rest des Stammes zu retten. Die Frauen wurden nie als besonders widerstandsfähig angesehen, und selbst ihre eigenen Familien nehmen Abschied, überzeugt, dass sie den Winter nicht überleben werden.

Doch anstatt sich ihrem Schicksal zu fügen und zu sterben, besinnen sich die beiden Frauen auf ihre früheren Fähigkeiten. Sie erinnern sich an alte Jagdtechniken, weben warme Kleidung aus Tierhäuten und graben verborgene Vorräte aus, die sie einst für Notzeiten versteckt hatten. Durch kluge Planung, gegenseitige Unterstützung und unermüdliche Entschlossenheit schaffen sie es nicht nur, zu überleben, sondern sogar stärker als zuvor zu werden.

Im Laufe der Geschichte überwinden die Frauen nicht nur die Naturgewalten, sondern auch ihre eigenen Selbstzweifel und Ängste. Schließlich treffen sie ihren alten Stamm wieder – und überraschen alle mit ihrer unglaublichen Widerstandskraft. Ihre Geschichte wird zur Legende und verändert die Sicht des Stammes auf ältere Menschen.

Themen des Buches:

  • Überlebenswille & Widerstandskraft: Die Frauen beweisen, dass sie trotz ihres Alters wertvoll und fähig sind.
  • Tradition & Weisheit: Durch ihre Erfahrung und altes Wissen überleben sie in einer feindlichen Umgebung.
  • Gesellschaftlicher Umgang mit Älteren: Die Geschichte hinterfragt, wie Gesellschaften ältere Menschen behandeln, besonders in Krisenzeiten.

Das Buch ist wunderschön geschrieben – schlicht, aber voller Weisheit und Emotionen. Es zeigt, dass Stärke in jedem Alter existiert und dass auch diejenigen, die oft unterschätzt werden, Großes leisten können. Besonders spannend ist dabei, dass die beiden alten Frauen von der Gemeinschaft als schwach und nutzlos abgestempelt wurden, aber letztlich bewiesen haben, dass genau ihre Lebenserfahrung überlebenswichtig war. Es ist beeindruckend, wie sie trotz ihres Alters und der anfänglichen Verbitterung über die Verbannung nicht aufgeben. Stattdessen greifen sie auf längst vergessene Fähigkeiten zurück und beweisen eine unglaubliche Widerstandskraft. Der Roman zeigt, dass Überleben und Wachstum oft aus schwierigen Phasen heraus entstehen – und dass Erfahrung, Wissen und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind. 





Sonntag, 2. Februar 2025

Eiskalte Tage und Nächte

verhindern vorerst noch größere Gartenepisoden oder ausgedehnte Spaziergänge mit Marie und anderen. Was liegt näher, als sich mit schönen Büchern und guten Bildern die Zeit zu vertreiben. Meinen Lesemonat Januar habe ich mit einem Buch abgeschlossen, das mir über Bücherwelten und Buchliebhaber*innen erzählte und mir eine andere Art von Büchern nahegebracht hat.


Die Rede ist von Kai Meyers Buch Die Bibliothek im Nebel ist eine atmosphärische Erzählung, die historische Fakten mit literarischer Fiktion verbindet. Im Mittelpunkt steht der junge Bibliothekar Artur, der 1917 vor der Russischen Revolution aus Sankt Petersburg flieht. Mit einem geheimnisvollen Manuskript im Gepäck reist er nach Leipzig – der „Bücherstadt“ –, in der Hoffnung, seine verlorene Liebe Mara wiederzusehen. Inmitten politischer Umbrüche, literarischer Rätsel und den Schatten der Vergangenheit entfaltet sich eine Geschichte über die Macht von Worten und Büchern - und die Gefahren von Wissen.

Die Figuren sind durchaus tragisch zu nennen und ich fragte mich beim Lesen, wie ein Mensch so viel Unglück erleben und dabei nicht zerbrechen kann. Lag es an der Zeit oder den Menschen? Haben Menschen früherer Epochen eine andere Einstellung zu Lebensthemen entwickelt, entwickeln müssen und wären wir dazu heute noch bereit, bzw. fähig.

Meyer verwebt kunstvoll verschiedene Zeitebenen: Während Arturs Geschichte von Flucht und Neubeginn erzählt, folgt ein anderer Erzählstrang den „Forschern“ Liette und Thomas, die in der Gegenwart auf Arturs Spuren wandeln und dessen Vergangenheit rekonstruieren wollen, um Mara - die lange Zeit verschollen ist, wieder zu finden. Mit seiner einmaligen Erzähltechnik, seinem feinen Gespür für historische Details und einem Hauch von Mystik erschafft Meyer eine dichte, fast traumartige Atmosphäre, die mich nicht loslassen wollte.

Die Charaktere sind vielschichtig, besonders Mara, deren Vergangenheit zwischen Liebe, Verlust und (tödlichen) Geheimnissen changiert, die erst im Laufe der Geschichte deutlich werden. Auch die beiden Akteure Liette und Thomas, die die Geschichte von hinten aufrollen, tragen zur Tiefgründigkeit des Romans bei, da es ihnen gelingt, im Laufe ihrer Recherchen ein Puzzlestück zum anderen zusammenzufügen.

Die Bibliothek im Nebel ist nicht nur eine Hommage an Bücher, Leser*innen und ihre Bewahrer, sondern auch eine Reflexion über die Unausweichlichkeit von Geschichte und Geschichten. Das Buch ist ein faszinierendes Leseerlebnis für diejenigen, die historische Romane mit literarischem Anspruch schätzen.

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Was war noch? Gemeinsam mit einer Freundin habe ich wieder die Kunsthalle der Kulturbäckerei in Lüneburg besucht. Wir erlebten die Vernissage "Zeichen eines Lebens" von Gerhard Fietz. 

Das Kunstarchiv Lüneburg (** siehe unten) schreibt über den Maler: 

"Gerhard Fietz studierte Malerei in Breslau (bei Alexander Kanoldt und Oskar Schlemmer), Düsseldorf und Berlin. Traumatische Erfahrungen als einfacher Soldat an der Ostfront (1941–1943) flossen lebenslang in seine Kunst ein. Fietz zählte nach 1945 zu den avantgardistischen, abstrakten Malern in München, die in ihrem Schaffen eine „innere Klärung“ suchten. 1949 gehörte er zu den Gründern der Künstlergruppe ZEN 49. Seine Kunst, durchzogen von einer spirituellen Ebene, suchte ein „neues Alphabet der Verständigung“ und führte in seinem Kernwerk zu einer bis ins Explosive reichenden Dynamik in Form und Farbe. In wiederholt gemalten Schreckensszenarien als Kriegsverarbeitung und Mahnung vor Krieg sind auch gegenständliche Bezüge zu finden. Erhalten hat sich ein großes Konvolut an Russland-Zeichnungen.

1957 wurde Gerhard Fietz zum Professor an der Hochschule der Bildenden Künste in Berlin ernannt. Ab 1979 lebte er, nach einem Aufenthalt zur Gründung der Künstlerstätte Schloss Bleckede, bis zu seinem Tod in Göddingen."


Gezeigt wurde eine umfassende Retrospektive seines Werkes. Obwohl die Bilder auf den ersten Blick unbefangen und farbig daher zu kommen scheinen, hat der Künstler in vielen seiner Bilder Erlebnisse aus dem zweiten Weltkrieg verarbeitet. 

Seine Tochter, Judith Fietz, erzählte aus dem Leben des Vaters und hat die gezeigten Bilder aufs Beste ergänzt und den Schauenden näher gebracht. 









** Kunstarchiv Lüneburg

Ein Projekt der Sparkassenstiftung Lüneburg

Dorette-von-Stern-Str. 10

21337 Lüneburg


  





Freitag, 17. Januar 2025

Heißes Blut

 

von Un-Su Kim ist der Titel des Romans, den ich in der letzten Woche gelesen habe. Meine Reise hat mich wieder in ein fernes Land geführt, dieses Mal nach Südkorea. Ich denke, es ist das Fremde, das mich so fasziniert an den Romanen aus Japan, Korea oder China und anderen. Fremde Kulturen und Lebenswelten, die ich in der Abgeschiedenheit meines Dorfes nicht mehr finde. Dinge wie Kunst, Kultur oder  landestypische Küche, die in Frankfurt oder Hamburg selbstverständlich waren und sind, finden hier nicht statt. So lasse ich mir davon erzählen und freue mich über das Unbekannte, das fremde Leben, das aus den Buchseiten zu mir kommt. 

Der Roman spielt in der Hafenstadt Busan (Südkorea) und folgt Hee-soo, einem kleinen Gangster, der in der unheilen Welt des organisierten Verbrechens aufgewachsen ist. Dem Protagonisten scheint es zu gelingen, in einer Welt voller Korruption und Verrat eine gewisse moralische Integrität zu bewahren. Hee-soo ist ein loyaler Mann, der sich nach einem ruhigeren Leben sehnt. Sein innerer Kampf, das Richtige zu tun, gibt der Geschichte einen Hauch von Hoffnung und Menschlichkeit. Aber: seine Vergangenheit und die skrupellosen Machtkämpfe in der Unterwelt lassen ihn nicht los.

Als sein Boss von einem ehrgeizigen Rivalen bedroht wird, gerät Hee-soo in einen Strudel aus Verrat, Gewalt und Machtspielen. Während er versucht, seine eigene Moral in dieser grausamen Welt zu bewahren, wird er mit schicksalhaften Entscheidungen konfrontiert, die sein Leben und seine Zukunft verändern könnten.

Heißes Blut ist eine düstere, atmosphärische Geschichte über Loyalität, Verrat und die Hoffnung auf einen Neuanfang, die mich gefesselt hat, ohne dass ich genau sagen kann warum. Düstere Krimis gehören nicht zu meinem bevorzugten Lesestoff - aber vielleicht war es gerade das, was mich faszinierte. Viele Figuren im Roman sind nicht rein böse oder gut, sondern vielschichtig. Das macht das Lesen für mich sehr eindringlich; selbst in den dunkelsten Charakteren kann man menschliche Züge, etwas Gutes erkennen.

Auch die Zweifel des Protagonisten und der Wunsch, dieses Leben hinter sich zu lassen und einen friedlicheren Weg zu finden, ist ein universelles und positives Thema, das man ja häufig selbst reflektiert.  Doch Hee-soos Schicksal bleibt tatsächlich offen, was den Roman umso realistischer und eindringlicher macht. Es spiegelt die Unsicherheit wider, die mit einem Leben in der Unterwelt verbunden ist, denn selbst wenn jemand entkommen möchte, ist der Weg hinaus oft voller Hindernisse und ohne Garantien.

Dass es keine klare neue Perspektive für Hee-soo gibt, unterstreicht die Tragik seiner Situation. Der Roman zeigt, wie schwer es ist, aus einer Welt auszubrechen, die einen von klein auf geprägt hat. 


Bild von einer KI generiert


Mittwoch, 8. Januar 2025

"Der Sohn des Maskenschnitzers"

 von Alyson Richman, ist meine derzeitige Lektüre. Der Protagonist des Romans, wächst in Japan auf, wo er in eine lange Tradition von Maskenschnitzern eingebunden ist. Sein Vater ist ein angesehener Maskenschnitzer im Noh-Theater, einer Kunstform, die tief in der japanischen Kultur verwurzelt ist. Kiyoki wird von klein auf in die geheimen Handwerkstechniken und die Bedeutung der Masken eingeführt, die sowohl künstlerisch als auch spirituell eine zentrale Rolle im Noh-Theater spielen.


Das Leben von Kiyoki in Japan ist von starkem familiären und kulturellen Druck geprägt. Als Sohn eines traditionellen Handwerkers steht er unter dem Erwartungen, die Kunst seines Vaters fortzusetzen und die Familientradition zu bewahren. Dies bringt Kiyoki in einen inneren Konflikt, da er die Kunst des Maskenschnitzens liebt, aber gleichzeitig das Gefühl hat, mehr zu wollen – vor allem, die westliche Malerei zu verstehen und selber zu schaffen. Kiyoki verspürt den Drang, seine eigene künstlerische Vision zu verfolgen. Sein Herz schlägt für die europäische Moderne und die Malerei, die für ihn Freiheit und Individualität verkörpert.

Der Wunsch, Japan zu verlassen und nach Frankreich zu gehen, ist eine Flucht vor den Erwartungen und der Schwere des Lebens in Japan. Das Leben in Japan – geprägt von Tradition und einer klaren Rollenverteilung – fühlt sich für Kiyoki zu einschränkend an. Sein innerer Drang, die westliche Kunst zu erleben und zu verstehen, stellt für ihn einen Weg dar, sich von der Last der Tradition zu befreien und seine eigene künstlerische Identität zu entwickeln. So wird die Reise nach Frankreich nicht nur zu einem Schritt in die Freiheit, sondern auch zu einem Schritt in seine eigene, ungelebte künstlerische Zukunft.

Die Bühne eines Noh-Theaters, von einer KI generiert

Angetrieben von seinem Wunsch, die Kunst der europäischen Avantgarde zu entdecken und sich selbst als Maler zu verwirklichen, reist Kiyoki nach Frankreich. Dort taucht er in die Welt der Pariser Kunstszene ein, eine Welt voller kreativer Freigeister, die in starkem Kontrast zu den strengen japanischen Traditionen steht. Die Begegnungen mit der westlichen Kunst inspirieren ihn, seine Identität als Künstler zu hinterfragen und gleichzeitig mit seinen kulturellen Wurzeln zu verbinden.

Die Masken, die Kiyoki in Japan bei seinem Vater als Handwerkskunst erlernt hat, bleiben ein zentrales Symbol: Sie repräsentieren nicht nur die Tradition, sondern auch die Frage nach Authentizität und der eigenen "Maske", die man in der Welt trägt. Der Roman thematisiert Kiyokis Reise zwischen zwei Welten – der japanischen und der westlichen – und beleuchtet, wie Kunst und kulturelle Begegnungen den inneren Konflikt zwischen Tradition und Moderne heilen können.

Ich liebe Bücher, die mir nicht nur Freude beim Lesen, sondern auch Wissen vermitteln. Auch dieses Buch ist so ein Buch. Das Noh-Theater Japans, war und ist mir relativ fremd. Nun tauche ich in den Wissenspool des Internets und erfahre, dass Noh als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt ist und dass auch heute noch Stücke aufgeführt werden. Es hat viele moderne Künstler und Theaterschaffende inspiriert, darunter auch Bertolt Brecht. 

Das Noh-Theater ist eine Kunstform, die Tradition, Spiritualität und Ästhetik vereint. Auch wenn es für Europäische Augen und Ohren gewöhnungsbedürftig ist, fordert es von seinem Publikum Geduld und hohe Aufmerksamkeit. Kenner meinen, dass das Noh-Theater jedoch mit tiefgründigen Einsichten und zeitloser Schönheit belohnt.

Für Interessierte füge ich hier einen Link zu einem YouTube-Video ein (Keine Werbung):

https://www.youtube.com/watch?v=YVARAMARvk8











Mittwoch, 1. Januar 2025