Donnerstag, 14. Dezember 2023

Das Gedicht

 

Das Gedicht ist einsam.

Es ist einsam unterwegs.

Wer es schreibt, bleibt ihm mitgegeben.


Das Gedicht will zu einem Andern, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Es sucht es auf, es spricht sich ihm zu.

Jedes Ding, jeder Mensch ist dem Gedicht, das auf das Andere zuhält, eine Gestalt dieses Anderen.


Paul Celan, aus einer Dankrede an der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt.

Lyriker

Geboren 23.11.1920

Gestorben 20.04.1970



Montag, 4. Dezember 2023

Winterzeit und Innenzeit

 Dem Winter entgegen - mit einem Gedicht von Ingeborg Bachmann



I

Ich wollte nie so versinken

Und ich will nicht glauben,

daß die heiligen Stunden,

die selbst im Trubel ich fand,

mich verließen, wie launische Winde.

 

Ich werde wandern und suchen.

Und wenn ich einmal sie finde,

werde ich nie mehr lassen,

daß die leidigen Tage

mich fransen wie seidiges Tuch.

 

Ich hatte Einsamkeit und weine,

daß ich so leicht sie ließ,

dem sie kam zu geben,

während Schlaf mich umfing!

 

II

Schmerzend ist jede Nacht,

Wenn du den sterbenden Tag,

Gefesselt, ihn ganz zu erfüllen,

Still hast bedacht.

 

 

"Einem Winter entgegen ..."

Quelle: Ingeborg Bachmann

Sämtliche Gedichte

Piper Verlag München, 2023


Winterzeit ist Innenzeit. Während die Welt draußen, mit Schnee sich schmückt, macht sie harte Konturen sanft - macht sie erreichbar, für Gedanken und Körper, für Geist und Seele. Macht sie mich geneigt, Unsanftes zu betrachten, in der Geborgenheit meines Hauses. Eine vorsichtige Annäherung findet statt, an intime Gedanken anderer und Autorinnen.