Sonntag, 28. Juli 2019

Aus einem Gedicht

Vor einiger Zeit habe ich eine Zeile von Paul Celan gelesen:


"Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt."


Dieser Gedanke wandert in mir herum und ich vertiefe mich in ihn, frage mich, was Celan damit gemeint haben mag.


Das Steine Geschichten erzählen können, dessen bin ich mir sicher. Geschichten über Feuer und Erde, über ihre Entstehung und über ihre langen Reisen, hier auf der Erde. 


Häufig sind Steine im Wasser unterwegs. Mögen Steine Wasser? Hat der Stein die Option Wasser gewählt, oder wurde für ihn entschieden? War er des Wartens an einem Ort müde und hat sich eine Gelegenheit gesucht, um auf seine Wasser-Reise zu gehen? Und hatte  man ihm von den Gefahren des Wassers erzählt, das selbst als Tropfen Steine höhlt?


War es ein Glück für ihn, unterwegs zu sein oder wäre er lieber am alten Ort geblieben? Der alte Platz war ihm zwar langweilig geworden, im Laufe der Jahre, aber er wusste, was er an ihm hatte, er hatte sich mit ihm arrangiert. 


Irgendwann wusste der Stein nicht mehr, ob er die Entscheidung für seine Wanderschaft selber getroffen hatte oder ob ein ihm unbekanntes "Etwas" das für ihn getan hatte. Das erschwerte seine Reise, weil es ihn traurig und schwer machte. Er nahm sich vor, künftig selber die Entscheidung für sein Reisen oder Bleiben zu treffen. 


So hat er sich auf seinen Weg gemacht. 
Um leicht zu werden. Um zu blühen.


Denke ich mir ...


Das vollständige Gedicht von Paul Celan für alle, die es lesen möchten:



Corona

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der 
Straße:

es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.


3 Kommentare:

  1. Liebe Erika,
    guten Morgen und herzlichen Dank!
    Herzlichen Dank für diesen wunderbaren Beitrag und dieses sehr schöne Gedicht!
    Blühende Steine, was wäre die Welt soviel schöner ... und, wenn sie erzählen könnten, oh ja, das wäre sicher sehr interessant, was da alles zum Vorschein kommen würde!
    und -
    Herzlichen Dank, daß Du die Kommentarfunktion wieder geöffnet hast, das freut mich ganz besonders *lächel*
    Schön, daß Du wieder da bist :O)))
    Hab einen guten Start in eine schöne und angenehme neue Woche!
    ♥ Allerliebste Grüße, Claudia ♥

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  2. wunderschön...es nimmt mich mit und wenn ich meinen Daumen schmeichler des Abends in die Hand nehme bis er warm wird , ich ihn sacht der Hand entgleiten lasse, dann ist es Zeit in den Schlaf zu gehen...
    sehr berührend geschrieben...
    herzlichst angelface

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  3. Ich lese und bin begeistert. Für mich leben Steine und sie erzählen. Setze Dich hin , schaue den Stein an und er beginnt beim Erzählen zu leuchten.
    Ein wunderbares gedicht, lyrik vom Feinsten, Danke, herzlichst Klärchen,
    die immer mit wenigen Worten vieles sagen möchte
    Du bist bei mir verlinkt!

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