Juni 07, 2025

Räume

Während der Regentage dachte ich an das Buch "Der Kuss des Einhorns" von Tracy Chevalier. Ich habe das Buch erst zu einem Drittel gelesen und überlege, ob ich weiterlesen soll .... 

Es ist die Figur, des Nicolas des Innocents, die mich zögern läßt. Der Gute pflegt ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Libido und ist um keine flotte Rede verlegen, um unter die Röcke der Damen zu gelangen. Mein Männerbild ist gerade nicht freundlich und ich denke, dass ich nicht soviel von der männlichen Welt brauche. Gleichwohl es mir hätte bewusst sein müssen, denn Paris um 1490 ... es herrschten klare Geschlechterverteilungen und die Damen hatten mal wieder keine gute Zeit. 


Und dazu habe ich immer diese eine Gedichtzeile von Martin Walser im Kopf. Sie lautet: Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße" ... (siehe unten). Ob ich einfach als "Gehende" weiterlesen sollte und der Rest des Buches erschließt sich dann ? Oder ich achte auf mein Nichtwollen.

Wenn ich aber doch weiter lese, werde ich vielleicht nicht gleich wissen, warum ich weiterlesen sollte, aber wenn dann legt sich der Teppich der Geschichte aus – und darunter könnten sich Bilder und Erkenntnisse zeigen, die erst im Fortgang spürbar werden.

Und wer weiß, vielleicht wohnt bereits ein Teil der Figuren in mir, hat sich in meinem Bewusstsein eingenistet und wartet darauf, hervorkommen zu dürfen. Vielleicht wartet eine Szene, eine Begegnung, ein Satz, der mein heutiges Denken auf wunderbare Weise verändern könnte. Es gibt nicht nur die Gefahr.

Und was Nicolas des Innocents betrifft, ich erspare mir das andere Geschlecht. Ich erschaffe einen Raum der Heilung, nicht der Reproduktion alter Machtverhältnisse. Lasst uns gemeinsam achtsam mit uns selbst sein.



Es gibt nicht nur die Gefahr,

dass du zu viel riskierst,

es gibt auch die Gefahr,

dass du zu wenig riskierst.

Dem Gehenden schiebt sich

der Weg unter die Füße.


(Martin Walser, 24.03.1927 - 28.07.2023)

aus dem Gedicht "Mut"





Tapisserie - Wandteppich - Bildwirkerei 


3 Kommentare:

  1. Bücher können richtig gute Freunde sein. Manche lese ich schon zum 4. mal. Das Gedicht - der Gedanke - von Martin Walser ist großartig. Mal sehen was das Buch mit dir macht - oder was du mit dem Buch machst.
    Viele Grüße von Dori

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  2. Die Frage des Weiterlesens kenne ich ebenso von mir, es gibt Bücher oder auch Charaktere, die mich zögern und auch weglegen lassen. Ein ungelesenes Buch landet dann eben in einem öffentlichen Buchkasten.
    Wir Frauen hatten nicht nur im Mittelalter keine gute Zeit, das wissen wir ja. Was derzeit auf unserer Welt in (gesellschafts-)politischer Hinsicht passiert, ist ein Rechtsruck, den allerdings auch viele Frauen mitzuverantworten haben. Sie wählen Männer in Positionen, denen es auf diese Weise möglich wird, uns Frauen wieder in jene Zeit zu drängen, als wir rechtlos waren. Ich hoffe auf einen "Gegentrend", auf ein Aufwachen.
    Danke für Deine Gedanken, sie sind wie immer sehr nahrhaft.
    Herzliche Grüße, C Stern

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  3. bin auch sehr gespannt ob du dich dazu durchringst das Buch trotz der geschilderten Einwände erneut aufzuschlagen - wenn es gut geschrieben ist was auch oft der Grund ist warum ich etwas weiterlese, wo ich vorher zögerlich damit war...entweder ist es die Handlung o d e r die einzelnen Charaktere die mich fesseln und meine Handlung ändern.
    oft gebe ich dem Autor noch einmal eine zweite Chance und erfahre erst zum Schluss ob dies auch richtig war.
    interessant klingt es allemal...
    herzlich angel

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