Sonntag, 27. Oktober 2024

Geschichten

Es sind unsere Geschichten,

Die uns wieder erschaffen,

Wenn wir zerrissen, verwundet,

Ja, vernichtet sind.


Doris Lessing 22.10.1919 - 17.11.2013



Es sind aber auch die Geschichten anderer Menschen, die uns immer wieder berühren, faszinieren, in die Arme nehmen. Solche Geschichten habe ich bei Michiko Aoyama gefunden. In ihrem Buch "Frau Komachi emphiehlt ein Buch" lese ich von Menschen, die eher zufällig ein Gemeindezentrum in ihrem Wohnbezirk, irgendwo in Japan, betreten. Es gibt unterschiedliche Gründe für ihren Besuch aber alle landen in der kleinen Bibliothek, die von zwei Mitarbeiterinnen betreut wird. Eine Mitarbeiterin ist Frau Komachi, die es schafft, für jede und jeden das geeignete Buch zu empfehlen und damit eine Wende oder ein Umdenken, im Leben der jeweilig Lesenden zu schaffen. Der Anfang eines Beratungsgesprächs steht immer die Frage: "Was suchen sie?". Diese drei Worte denke ich mir irgendwann auch als Leserin. Was suche ich in einem Buch, in den Gedanken anderer. Und mit dieser Frage lande ich auch bei mir. Es sind die Geschichten, die ich suche, das erzählte Leben anderer Menschen. Ohne dass ich jetzt eine tiefgründige Analyse zum Geschichtenerzählen verfassen möchte, spüre ich das Lagerfeuer früherer Zeiten. Das Feuer, an dem Menschen sitzen und sich Geschichten erzählen.


Ich mag diese wie zufällig arrangierte Treffen der Protagonisten, über ihre eigene Geschichten hinaus. Sie treffen einander ohne Absicht und ergänzen die Geschichten der anderen Protagonisten. Mir gefällt sehr, wie Michiko Aoyama zeigt, dass wir alle miteinander verwoben sind ... ohne es zu merken. 



Gerade gelesen habe  Laura Imai Messinas neuen Roman. Er heißt: "Das Archiv der Herzschläge". 

Der Klappentext lautet:

"Im Südwesten Japans, liegt eine einzigartige kleine Insel: Teshima. An der Ostspitze der Insel steht ein Gebäude, in dem die Herzschläge von Zehntausenden von Menschen katalogisiert sind, lebenden und toten, die von den unterschiedlichsten Orten der Welt stammen. Es heißt Shinzō-on no Ākaibu, das Archiv der Herzschläge. Shūichi ist ein bekannter Illustrator, und hat eine Narbe in der Mitte seiner Brust. Er wird von seinem eigenen Herzschlag verfolgt, dem er jede Nacht lauscht, so als wolle er ihn an etwas erinnern, das teilweise im Dunkeln liegt. Als Shūichi nach dem Tod der Mutter in sein Elternhaus am Rande von Tokio zurückkehrt, macht er Bekanntschaft mit einem Jungen, der wie ein Schatten um das Haus schleicht. Shūichi und der achtjährige Kenta gehen eine außergewöhnliche Verbindung ein, die es ihnen ermöglicht, das Vergangene nicht länger zu verdrängen. Ihr Weg wird die beiden nach Teshima führen."


Eine bewegende Geschichte, die über Freundschaft und Liebe erzählt. Sie erinnert mich an meine eigene Kindheit. Besonders, wenn die Autorin ihren erwachsenen Helden sagen lässt: "Die Kindheit kann eine schreckliche Zeit sein". 

Es ist eine völlig subjektive Zeit, in der Individuen ihren eigenen Kosmos und den der anderen kennenlernen und erkunden. So entdecken Shūichi und Kenta Gemeinsamkeiten in ihrer beider Leben, die verblüffend sind. Der Erwachsene, der sich mit seinen Illustrationen einen Teil dieser magischen Kind-Zeit bewahrt hat und das Kind, das so viel mehr weiß, als es zunächst scheint. Mir gefällt, wie die Autorin Bezugspunkte zu ihren anderen Romanen knüpft. Besonders zu meinem Lieblingsbuch " Das verborgene Leben der Farben", über das ich hier ein wenig geschrieben habe. Wir treffen Protagonisten wieder, die dort schon eine Rolle gespielt haben und die Geschichten verweben sich in- und miteinander. 


*****

Am Ende meines Postings möchte ich noch ein Zitat widergeben, das Shūichi in sein Notizbuch schrieb:

"Man kann über seine glücklichen Tage nicht viel sagen", fuhr die Sphinx nach einem langen Schweigen fort, "das Glück hasst die Worte".


Friedrich Dürrenmatt

Das Sterben der Pythia









2 Kommentare:

  1. Das Leben schreibt die Geschichten. Ob jemand sie liest, wenn wir vernichtet sind ?Dem letzten Zitat kann ich zustimmen. Liebe Grüsse, Klärchen

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  2. "man kann über das Glück nicht viel sagen, denn das Glück hasst die Worte" hätte statt der Spinyx auch ein alter weiser Indianer am Lagerfeuer zu seinen alten Geschichten sagen können um zu erklären dass niemand das Glück fassen und erklären oder beschreiben kann.
    es sind interessante Bücher die du hier vorstellst, wunderbar hast du die Geschichten beschrieben das erweckt sofort mein Interesse, danke..
    denn Erzählungen über echte Freundschaft die Liebe und Familie, Begegnungen die sich im Leben ergeben sind immer zutiefst berührend für mich und oft verlasse ich sie mal lächelnd erleichtert und froh, oft aber auch unter Tränen. ich werde versuchen ob ich sie in der Bibliothek entdecke...
    herzlichst angel

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