Donnerstag, 16. Dezember 2021

Die Zeit, Abschiede und neues Leben

 

Zeitspirale von ENT


Die letzten Tage des Jahres rauschen an mir vorbei. Wo früher freudiges und gespanntes Warten und Erwartung hin zur  geweihten Nacht strebten, herrscht heute offenbar Mangel. Mangel an Zeit. Mangel an Menschen. Mangel an Leichtigkeit. Mangel an Lebensfreude?

Generell scheint ein Mangel an Gelegenheiten zu herrschen. Oder ist es "nur" die  Zeit, die gerade unglaublich schnell läuft. Ist das Leben schneller geworden oder bin ich zu schnell?

Es ist tröstlich, mich an Lyrik zu erfreuen. Heute lese ich Ricarda Huch, sie schrieb:


Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
sich tiefer und tiefer ins Herz hinein.
Und während Tage und Jahre verstreichen,
Werden sie Stein.
Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
Sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere,
Bis in den Traum.
Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
Die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
Da blüht nichts mehr.


Ricarda Huch

 

Ich lese immer wieder, dass man "durch das Loslassen in die Leichtigkeit" kommen soll. Und versuche, mich darin zu üben. Ich mustere Dinge aus, Kleidung, Kram und Krempel. Räume aus und räume wieder ein und stehe dennoch vor vollen Schränken. Es heißt, man solle die alten Dinge als Dünger für das Kommende nehmen. Wie soll das gehen? Dann müsste ja doch vieles bleiben und ich baue - was - darauf auf. 

Was kann ich noch loslassen? Bücher, Schuhe, Taschen. Nun kommt es wie ein Rausch über mich. Ich überlege, dass ich wenn ich gerade so schön in Fahrt bin, auch immaterielles ausmisten möchte. Alte Hoffnungen z.B., die sich nicht erfüllt haben ... weg damit! Unerfüllte Lebenswünsche ... brauche ich die Erinnerung an sie? Nein. Ich brauche Raum für Neues, also weg damit. Und in einer der hinteren Ecken sehe ich etwas, das ich erst nach längerer Zeit als alte Ängste, einstufen würde. Gut versteckt, in den hinteren Winkeln und doch willens, jederzeit wieder in Erscheinung zu treten. 






Fotografie von Wanda von Debschitz-Kunowski - Die Blauen Bücher: Menschen der Zeit. Hundert und ein Lichtbildnis wesentlicher Männer und Frauen aus deutscher Gegenwart und jüngster Vergangenheit, Karl Robert Langewiesche Verlag, Königstein 1930, Bild 83, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=526610



Wer war Ricarda Huch? Ricarda Octavia HuchPseudonym Richard Hugo (* 18. Juli 1864 in Braunschweig; † 17. November 1947 in Schönberg im Taunus) war eine deutsche SchriftstellerinPhilosophin und Historikerin, die als eine der ersten Frauen im deutschsprachigen Raum im Fach Geschichte promoviert wurde. Sie schrieb Romane und historische Werke, die durch einen konservativen und gleichzeitig unkonventionellen Stil geprägt sind.  Quelle: Wikipedia