Freitag, 30. August 2024

Wie kommen Bücher zu mir?

Oft sind es Gedanken oder Sätze die mir auffallen, mich ansprechen oder in einen inneren Dialog mit mir gehen. Oder ich lese über Biografien von Autorinnen und Autoren, die ich interessant finde, die mich neugierig machen, mehr zu lesen. Bestsellerlisten gehören nicht zu meiner Lektüre und trotzdem stellen sich viele der literarischen Kostbarkeiten als Schätze heraus. Wie z.B. die Autorin Olga Tokarczuk, geboren 1962, eine polnische Psychologin und Autorin, die ich im Juni entdeckt habe. Im Jahr 2019 erhielt sie für ihr Buch „Unrast“ rückwirkend den Nobelpreis für Literatur des Jahres 2018, der zuvor nicht vergeben wurde.

Heute stelle ich ihr Buch „Der Gesang der Fledermäuse“ vor. Ein moralischer Thriller, so heißt es im Klappentext, der den Leserinnen und Lesern die Erzählerin, Janina Duszejko, näherbringt. Sie lebt alleine auf einem Hochplateau des Glatzer Kessel (siehe unten ***), irgendwo am Rande der zivilisierten Welt, wo sie ihren Leidenschaften, der Astrologie und der Wortkunst - und ihre Liebe zu Tieren lebt.

Als in ihrer Umgebung eine Leiche nach der anderen gefunden wird, scheint sie der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein. Dabei nutzt sie, die allgemein als Verrückte angesehen wird, das „unauffällige Erscheinungsbild einer alten Frau, oft mit einer Plastiktüte in der Hand“, irgendwo unterwegs auf Feld- und Waldwegen.  

Das unauffällige Erscheinungsbild einer alten Frau, steht da. Wo fängt es an? Wie sehe ich ältere Frauen in meinem Alltag, auf meinen Wegen und wie sehen sie mich? Das sind Gedanken, die sich zu ergründen lohnen. Und ich kann mir vorstellen, dass Bücher und die Gedanken anderer Autorinnen hilfreich sind, sich dieser Thematik zu stellen. Noch ein anderer Gedanke keimt in mir auf. Versteckt der Titel noch eine untergründige Botschaft? Dürfen ältere Damen als singende Fledermäuse interpretiert werden? Eine Gattung, die man am Tage nicht sieht und deren Lieder und Gesänge für Menschenohren nicht hörbar sind. Und, deren Aufenthaltsorte als düster und melancholisch gelten dürfen. Hmmm ...

Ich liebe den Roman, die Stimmung des Waldes, die Sprache, die die Autorin erdacht hat und die vielen nachdenklich stimmenden Sätze, die mich immer wieder überrascht und erfreut haben. So denkt die Protagonistin beispielsweise über einen ihrer Nachbarn: „… und es sieht so aus, als hätte er beschlossen, ein neues Leben zu beginnen, wie jeder, dem die Ideen und die Mittel für das alte Leben ausgegangen sind“.

Oder sie philosophiert über eine alternde Realität: „Heute wagt es niemand mehr, etwas Neues zu denken. Alle sagen nur pausenlos, wie es ist, und spinnen die alten Gedanken weiter.“

Das sind Gedanken, die man stundenlang weiterspinnen könnte und oft tue ich das auch für mich, in meinem Kämmerlein und auf meinen Spaziergängen.

Eine Theorie, die die Autorin ihre Ich-Erzählerin denken lässt, fasziniert mich ebenfalls sehr. Sie schreibt: „ … Ich glaube nämlich, unsere menschliche Psyche ist dazu da, um uns vor dem Anblick der Wahrheit zu bewahren. Um uns keinen direkten Einblick in den Mechanismus zu erlauben. Die Psyche ist unser Immunsystem - sie sorgt dafür, dass wir niemals verstehen, was um uns herum vorgeht. Hauptsächlich ist sie damit befasst, Informationen zu filtern, auch wenn die Möglichkeiten unseres Gehirns gigantisch sind. Doch alles Wissen wäre nicht zu ertragen. Denn jedes kleinste Teilchen der Welt ist aus Leid zusammengesetzt. ..."


So verwundert eigentlich das fulminante Ende des Romans nicht wirklich. Die Autorin hat zwar Hinweise gestreut, die aber in meinem Lesefluss untergegangen sind. Erst beim Nachlesen wurden sie für mich sichtbar. Ich hatte der Protagonistin zu viel Aufmerksamkeit entgegengebracht, und mein ungefiltertes Wohlwollen, vielleicht…


Vielleicht konnte ich euch neugierig machen auf dieses feine, nachdenkliche Buch und hoffe, dass ich nicht zu viel verraten habe. Meine Ausgabe ist die erste Auflage der deutschen Ausgabe aus dem Jahr 2011. Verlegt wurde das Buch bei Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung, Frankfurt am Main.

 

 

 

*** Glatzer Kessel (polnisch Kotlina Kłodzkatschechisch Kladská kotlina) ist eine geographische Bezeichnung für ein Gebiet innerhalb der ehemaligen Grafschaft Glatz. Das Gebiet entspricht seit Kriegsende 1945 weitgehend dem polnischen Powiat Kłodzki. Nach petrologisch-tektonischen Gesichtspunkten gehört es zum Landschaftsraum der Innersudetischen Senke.

Quelle: Wikipedia


KI-generiertes Bild



1 Kommentar:

  1. dein vorgestelltes Buch liebe ERIKA klingt für mich sehr interessant. Gerade ältere oder alte Frauen mit großer Lebensweisheit gehen oft im Gedränge des " schnelllebigen Umherwanderns unter und werden kaum beachtet, geschweige denn geehrt und achtsam wahrgenommen. Eigentlich unverständlich, denn sie sind es ja die uns Leben lehren.
    gerade gestern habe ich ein langes überaus interessantes Interview im Netz bei einer Bloggerin mit Elke Heidenreich entdeckt, das über eine Stunde ging indem ich gerne ihren philosophischen Spuren folgte. Sie gewinnt mit jedem neuen Lebensalter meine uneingeschränkte Sympathie.
    ja Frauen - Gedanken und Literatur, nicht zu vergessen ihre unglaublich starke Phantasie, mögen sie lange nicht von unserer Erde verschwinden.
    dir ganz liebe Grüße in deinen Tag von Angel

    AntwortenLöschen