Sonntag, 23. Februar 2025

Dorfalltag am Wochenende

Die zweistelligen Temperaturen locken Marie und mich heute zu einem langen Spaziergängen durch das Dorf. Unterwegs treffen wir viele andere Hunde und deren Menschen und andere Passanten, die sich ebenfalls über die moderaten Temperaturen freuen. 


Wir laufen vorbei an den knorrigen alten Kopfweiden, die frisch geschnitten wurden, nicht einmal fünf Gehminuten entfernt vom Haus. Ich liebe die alten Schätzchen sehr und habe auch hier im Garten ein paar Stecklinge - allerdings aus Platzmangel nur in Töpfen - gepflanzt.

Früher fand das Schnittgut reißenden Absatz. Viele haben sich in ihren Gärten kleine Zäune oder Skulpturen daraus geflochten. Die waren und sind etwas Besonderes, denn Weiden treiben in der Erde neu aus und bilden gute Wurzeln. Im Nu entstehen so lebende Hecken, die einen ganz besonderen Charme haben. Doch leider entstehen auch hier, im dörflichen Raum, immer mehr "Steinbeete" oder häßliche Drahtkörbe mit Bruchsteinen sollen Grenzen bilden. Nur die "Alten" halten an ihren Blumen- und Gemüsebeeten fest. Falls kein Umdenken stattfindet, wird es auch diese Beete bald nicht mehr geben.

Auf unserem Spaziergang treffen wir regelmäßig auch "Die Drei". Eine Skulptur der Künstlerin Gisela Milse, die hier lebt und arbeitet. 


In der Dorfmitte stehen noch ein paar der schönen alten Häuser. Dieses beherbergt ein Restaurant und Café und ist besonders im Sommer gut besucht. 









Wieder Zuhause wartet auf dem Schreibtisch die "Geschichte des Fräuleins von Sternheim". Ich möchte es lesen, muss aber gestehen, dass die Sprache mich fordert. 



Der Roman wurde 1771 veröffentlicht und gilt als der erste deutsche Briefroman, der von einer Frau geschrieben wurde. Er erzählt die Geschichte der tugendhaften, aber naiven Sophie von Sternheim, die in eine intrigante Gesellschaft gerät, sich gegen unmoralische Avancen zur Wehr setzen muss und schließlich ihr Glück findet. Der Roman kritisiert die moralische Verderbtheit des Adels und betont Werte wie Tugend, Gefühl und weibliche Selbstbestimmung.

 Mich interessiert der Roman hinsichtlich der gesellschaftlichen Rolle der Frau im 18. Jahrhundert.  Ich erhoffe mir Einblicke in weibliche Tugendvorstellungen, moralische Erwartungen und in soziale Zwänge dieser Zeit.

Die Protagonistin Sophie von Sternheim verkörpert das Ideal der tugendhaften Frau: Sie ist gebildet, sittsam und standhaft gegenüber unmoralischen Verlockungen. In manchen Quellen wird darauf hingewiesen, dass der Roman nicht autobiographisch ist. Trotz allem soll (und wird) er persönliche Umstände, Gedanken und Emotionen der Frau Lo Roche transportieren. Im 18. Jahrhundert wurde von Frauen erwartet, dass sie sich den gesellschaftlichen Normen anpassten und insbesondere in Liebes- und Ehefragen Zurückhaltung und Moral bewiesen. Der Roman zeigt, wie Sophies Tugend immer wieder auf die Probe gestellt wird. Ihre moralische Standhaftigkeit hebt sie jedoch von anderen Frauenfiguren ab, die sich den Erwartungen beugen oder Opfer der korrupten Gesellschaft werden.

Ein zentrales Thema des Romans ist die wirtschaftliche und soziale Abhängigkeit der Frau. Sophie von Sternheim kann als Frau nicht eigenständig handeln oder finanzielle Entscheidungen treffen. Ihr Wohl hängt (ausschließlich) von wohlwollenden männlichen Figuren oder einer günstigen Heirat ab. Diese Situation war typisch für Frauen des 18. Jahrhunderts, die oft keinerlei rechtliche oder finanzielle Selbständigkeit besaßen. La Roche zeigt die Schwächen dieses Systems auf und kritisiert die geringe Handlungsfreiheit, die Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft blieb. 

Interessant ist, dass La Roche die Frau stets als höhere moralische Instanz darstellt. Während männliche Figuren sich durch Intrigen und egoistische Motive auszeichnen, steht Sophie für ein Ideal aus Selbstbeherrschung, Mitleid und Weisheit. Dieser Aspekt reflektiert ein weitverbreitetes Bild der Aufklärung: Frauen wurden als Bewahrerinnen von Moral und Tugend angesehen, während Männer diesen Zwängen natürlich nicht unterworfen wurden. 

Trotzdem! hat Sophie von La Roche nach dem Tod ihres Mannes ihren Lebensunterhalt mit der Schriftstellerei erwirtschaftet. 


Sophie von La Roche


Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sophie_von_La_Roche_-_Georg_Oswald_May_1778.jpg






Sonntag, 16. Februar 2025

Sonntag

 


Der Schnee ist geschmolzen, langsam läßt mich der grippale Infekt aus seinen Klauen und ganz allgemein ist mir sehr nach Frühling. In den Läden stehen Blumensamen, Saatgut für Gemüse, Anzuchthilfen und alles andere, das der geneigte Gärtner, die freundliche Gärtnerin für die Aussaat von Grünzeug braucht. Noch greifen die Kunden nicht zu, die Minusgrade sind schlecht für dieses Geschäft aber die bunten Tüten sind da und ich werfe begehrliche Blicke auf die Auslagen.

Bis es soweit ist, lese ich natürlich - und stricke und tue dies und das in meinem Artjournal, meinem Refugium für alles mögliche - und meinem Ort für Kleister, Papier und Schere. Es ist ein kleiner Raum für Erinnerungen, der meinem Gedächtnis auf die Sprünge hilft. Bei den beiden folgenden Büchern wäre es z.B. nötig. Gelesen habe ich sie schon vor Wochen und wollte ein wenig darüber schreiben. doch irgendwie sind sie mir durch die Lappen gerutscht. Also erzähle ich heute ein wenig über sie.


Die Autorin Velma Wallis, ist eine indigene Schriftstellerin aus Alaska und gehört dem Volk der Gwich'in an. Ihr bekanntestes Werk ist Zwei alte Frauen, eine eindrucksvolle Erzählung, die auf einer mündlichen Überlieferung ihres Volkes basiert. Das Buch erzählt die Geschichte zweier älterer Frauen, die während eines harten Winters von ihrem Stamm zurückgelassen werden, weil sie als nicht mehr nützlich gelten. Doch statt zu sterben, kämpfen sie ums Überleben und beweisen beeindruckende Stärke und Widerstandskraft.

Wallis’ Bücher greifen  Themen wie Überleben, Gemeinschaft und den Konflikt zwischen traditionellen indigenen Lebensweisen und der modernen Welt auf. Neben Zwei alte Frauen hat sie auch Das Vogelmädchen und der Mann, der der Sonne folgte geschrieben. Heute möchte ich Gedanken zu dem Buch  Zwei alte Frauen teilen. Es ist eine Legende von Verrat und Tapferkeit, die mich sehr berührt hat.

Die Handlung:

Die beiden Frauen, Ch’idzigyaak (etwa 80 Jahre alt) und Sa’ (etwa 75 Jahre alt), gelten als schwach und eine Last für die Gruppe. Als ein besonders harter Winter über das Land zieht und die Nahrung knapp wird, trifft der Häuptling die grausame Entscheidung, sie zurückzulassen, um den Rest des Stammes zu retten. Die Frauen wurden nie als besonders widerstandsfähig angesehen, und selbst ihre eigenen Familien nehmen Abschied, überzeugt, dass sie den Winter nicht überleben werden.

Doch anstatt sich ihrem Schicksal zu fügen und zu sterben, besinnen sich die beiden Frauen auf ihre früheren Fähigkeiten. Sie erinnern sich an alte Jagdtechniken, weben warme Kleidung aus Tierhäuten und graben verborgene Vorräte aus, die sie einst für Notzeiten versteckt hatten. Durch kluge Planung, gegenseitige Unterstützung und unermüdliche Entschlossenheit schaffen sie es nicht nur, zu überleben, sondern sogar stärker als zuvor zu werden.

Im Laufe der Geschichte überwinden die Frauen nicht nur die Naturgewalten, sondern auch ihre eigenen Selbstzweifel und Ängste. Schließlich treffen sie ihren alten Stamm wieder – und überraschen alle mit ihrer unglaublichen Widerstandskraft. Ihre Geschichte wird zur Legende und verändert die Sicht des Stammes auf ältere Menschen.

Themen des Buches:

  • Überlebenswille & Widerstandskraft: Die Frauen beweisen, dass sie trotz ihres Alters wertvoll und fähig sind.
  • Tradition & Weisheit: Durch ihre Erfahrung und altes Wissen überleben sie in einer feindlichen Umgebung.
  • Gesellschaftlicher Umgang mit Älteren: Die Geschichte hinterfragt, wie Gesellschaften ältere Menschen behandeln, besonders in Krisenzeiten.

Das Buch ist wunderschön geschrieben – schlicht, aber voller Weisheit und Emotionen. Es zeigt, dass Stärke in jedem Alter existiert und dass auch diejenigen, die oft unterschätzt werden, Großes leisten können. Besonders spannend ist dabei, dass die beiden alten Frauen von der Gemeinschaft als schwach und nutzlos abgestempelt wurden, aber letztlich bewiesen haben, dass genau ihre Lebenserfahrung überlebenswichtig war. Es ist beeindruckend, wie sie trotz ihres Alters und der anfänglichen Verbitterung über die Verbannung nicht aufgeben. Stattdessen greifen sie auf längst vergessene Fähigkeiten zurück und beweisen eine unglaubliche Widerstandskraft. Der Roman zeigt, dass Überleben und Wachstum oft aus schwierigen Phasen heraus entstehen – und dass Erfahrung, Wissen und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind. 





Sonntag, 2. Februar 2025

Eiskalte Tage und Nächte

verhindern vorerst noch größere Gartenepisoden oder ausgedehnte Spaziergänge mit Marie und anderen. Was liegt näher, als sich mit schönen Büchern und guten Bildern die Zeit zu vertreiben. Meinen Lesemonat Januar habe ich mit einem Buch abgeschlossen, das mir über Bücherwelten und Buchliebhaber*innen erzählte und mir eine andere Art von Büchern nahegebracht hat.


Die Rede ist von Kai Meyers Buch Die Bibliothek im Nebel ist eine atmosphärische Erzählung, die historische Fakten mit literarischer Fiktion verbindet. Im Mittelpunkt steht der junge Bibliothekar Artur, der 1917 vor der Russischen Revolution aus Sankt Petersburg flieht. Mit einem geheimnisvollen Manuskript im Gepäck reist er nach Leipzig – der „Bücherstadt“ –, in der Hoffnung, seine verlorene Liebe Mara wiederzusehen. Inmitten politischer Umbrüche, literarischer Rätsel und den Schatten der Vergangenheit entfaltet sich eine Geschichte über die Macht von Worten und Büchern - und die Gefahren von Wissen.

Die Figuren sind durchaus tragisch zu nennen und ich fragte mich beim Lesen, wie ein Mensch so viel Unglück erleben und dabei nicht zerbrechen kann. Lag es an der Zeit oder den Menschen? Haben Menschen früherer Epochen eine andere Einstellung zu Lebensthemen entwickelt, entwickeln müssen und wären wir dazu heute noch bereit, bzw. fähig.

Meyer verwebt kunstvoll verschiedene Zeitebenen: Während Arturs Geschichte von Flucht und Neubeginn erzählt, folgt ein anderer Erzählstrang den „Forschern“ Liette und Thomas, die in der Gegenwart auf Arturs Spuren wandeln und dessen Vergangenheit rekonstruieren wollen, um Mara - die lange Zeit verschollen ist, wieder zu finden. Mit seiner einmaligen Erzähltechnik, seinem feinen Gespür für historische Details und einem Hauch von Mystik erschafft Meyer eine dichte, fast traumartige Atmosphäre, die mich nicht loslassen wollte.

Die Charaktere sind vielschichtig, besonders Mara, deren Vergangenheit zwischen Liebe, Verlust und (tödlichen) Geheimnissen changiert, die erst im Laufe der Geschichte deutlich werden. Auch die beiden Akteure Liette und Thomas, die die Geschichte von hinten aufrollen, tragen zur Tiefgründigkeit des Romans bei, da es ihnen gelingt, im Laufe ihrer Recherchen ein Puzzlestück zum anderen zusammenzufügen.

Die Bibliothek im Nebel ist nicht nur eine Hommage an Bücher, Leser*innen und ihre Bewahrer, sondern auch eine Reflexion über die Unausweichlichkeit von Geschichte und Geschichten. Das Buch ist ein faszinierendes Leseerlebnis für diejenigen, die historische Romane mit literarischem Anspruch schätzen.

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Was war noch? Gemeinsam mit einer Freundin habe ich wieder die Kunsthalle der Kulturbäckerei in Lüneburg besucht. Wir erlebten die Vernissage "Zeichen eines Lebens" von Gerhard Fietz. 

Das Kunstarchiv Lüneburg (** siehe unten) schreibt über den Maler: 

"Gerhard Fietz studierte Malerei in Breslau (bei Alexander Kanoldt und Oskar Schlemmer), Düsseldorf und Berlin. Traumatische Erfahrungen als einfacher Soldat an der Ostfront (1941–1943) flossen lebenslang in seine Kunst ein. Fietz zählte nach 1945 zu den avantgardistischen, abstrakten Malern in München, die in ihrem Schaffen eine „innere Klärung“ suchten. 1949 gehörte er zu den Gründern der Künstlergruppe ZEN 49. Seine Kunst, durchzogen von einer spirituellen Ebene, suchte ein „neues Alphabet der Verständigung“ und führte in seinem Kernwerk zu einer bis ins Explosive reichenden Dynamik in Form und Farbe. In wiederholt gemalten Schreckensszenarien als Kriegsverarbeitung und Mahnung vor Krieg sind auch gegenständliche Bezüge zu finden. Erhalten hat sich ein großes Konvolut an Russland-Zeichnungen.

1957 wurde Gerhard Fietz zum Professor an der Hochschule der Bildenden Künste in Berlin ernannt. Ab 1979 lebte er, nach einem Aufenthalt zur Gründung der Künstlerstätte Schloss Bleckede, bis zu seinem Tod in Göddingen."


Gezeigt wurde eine umfassende Retrospektive seines Werkes. Obwohl die Bilder auf den ersten Blick unbefangen und farbig daher zu kommen scheinen, hat der Künstler in vielen seiner Bilder Erlebnisse aus dem zweiten Weltkrieg verarbeitet. 

Seine Tochter, Judith Fietz, erzählte aus dem Leben des Vaters und hat die gezeigten Bilder aufs Beste ergänzt und den Schauenden näher gebracht. 









** Kunstarchiv Lüneburg

Ein Projekt der Sparkassenstiftung Lüneburg

Dorette-von-Stern-Str. 10

21337 Lüneburg