Freitag, 22. November 2024

Geschichten


 Hexenhaus, Magie oder Metapher ?

Werden Menschen geformt von eigenen Energien und Kräften? Oder sind es die Geschichten, die in ihnen und um sie herum geschehen. Formen Menschen Geschichten? oder ist es denkbar, dass es genau umgekehrt passiert? Erkennen Menschen Muster, Gedanken und Melodien die sie formen oder sind es vereinfacht gesagt, Muster, Gedanken und Melodien, die Menschen "bilden", die schon lange vorher in ihnen verwoben waren, sind?

Berührt sein von Leben heißt, vielleicht, habe ich das was geschieht tatsächlich gespürt. Oder  es ist ein Echo, eine  Antwort auf eine Vergangenheit, die nicht zwangsläufig von mir gelebt und erlebt worden ist. Ist es Teil meiner Lebensgeschichte, meines Lebensfadens oder ist es  ein fremder Teil eines fremden Lebens, das um mich herum und in mir gelebt, verwoben wurde, gar noch gelebt wird.  

Wie können wir uns selbst erklären, uns selbst verstehen, ohne in einen Strudel aus Fragen zu geraten, zu deren Antworten wir keinen Zugang haben. Alte Denk-und Glaubensmuster existieren nicht mehr. Kirchliche und familiäre Wegweiser gehören oft der Vergangenheit an. Werte, die unsere Eltern noch mit gutem Gewissen vermittelt haben, scheinen obsolet. Wir ziehen es vor, nur uns selbst zu vertrauen. Was eine gute Sache ist, wären da nicht die vielen alten Glaubensmuster und Werte, die für unsere Eltern Gültigkeit hatten, die ihr Leben bestimmten, es zu einer Gemeinschaft verwoben haben - und, die in unser heutiges Leben hinein wirken. Und: trotz allem scheint es, dass sie sich nicht  als tragende Werte entpuppt haben. Ob sie sich dessen bewusst waren oder nicht, haben sie diese Werte aber im Rahmen unseres Sozialisationsprozesses an uns vermittelt. Sind wir uns dieser Mechanismen bewusst, die unser Leben und damit unsere Werte bestimmen oder ziehen wir es vor, zu verneinen, zu negieren und unsere eigene Werte zu kreieren? Und weiter und wieder gefragt, welchen Wert stellen die Fixpunkte, Eltern und Gesellschaft und unsere eigenen, in unserem Leben dar? 

Wir alle lieben Geschichten, die ein "gutes Ende" haben. Doch was, wenn es uns nicht gelingt, ein gutes Ende, geschweige denn, noch davor, ein gutes Leben zu leben, für unsere Lebensgeschichte zu schaffen? Und weiter: Sind wir uns dessen bewusst, dass Zuordnungen nicht für ein ganzes Leben taugen? Dass wir Kapitel für Kapitel neue Heimaten suchen und finden müssen/ sollen/ dürfen? Wissen wir um die Kraft, die in Geschichten steckt?


Schwester Gretel hat, um ihren Bruder zu retten, die Hexe in den Ofen gestoßen. Bravo, ruft das Publikum. Sie hat die Geschichte erkannt und sie zu einem guten Ende geführt. Nebenbei bemerkt, Gretel  muss sich auch nicht länger mit der Frage herumschlagen, was sie am Los ihres Bruders hätte "verbessern", ändern können. Im Sinne von "wenn nicht er ...  dann wäre ich in die Hände der Hexe gefallen ...". War es ein Akt des Mitgefühls oder stand der Wunsch, sich selber zu retten im Mittelpunkt? Wir wissen es nicht oder wollen es nicht wissen und vielleicht ist es ein guter Zeitpunkt, diese Geschichte nun loszulassen. Es ist passiert, schreiben die Brüder Grimm, die Geschichte ist vorbei und Hänsel ist gerettet. 

Beide Protagonisten dürfen jetzt die Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Das Muster des Helden und der Retterin ist bedient und ruft nach einer neuen Herausforderung. Jetzt können auch wir die Geschichte beruhigt loslassen und uns nach einer anderen umsehen. Nach neuen Erfahrungen, neuen Entscheidungen und neuen Mustern.


Nebenbei? und hoffnungsvoll:  Swami Sivananda sagt: 

Alle Fähigkeiten, Energien und Kräfte liegen in dir verborgen. 

Entfalte sie und werde frei und groß.









Dienstag, 12. November 2024

Die Mässigkeit

Meine Tageskarte aus dem RWS-Tarot vom 12.11.2024


Um einen anderen, neuen Bezug zu den Karten herzustellen, intensiver über deren Bedeutung nachzudenken, möchte ich hin und wieder Gedichte, besonders Haiku aber auch Elfchen zu den Karten verfassen. Hier sind meine ersten:


Haiku

Stiller Fluß im Herbst,
Herz zwischen Helle und Dunkelheit,
Harmonie erwacht.


Elfchen

Mäßigkeit
sanftes Fließen
Harmonie und Ruhe
alles findet seinen Weg
Balance.



Zu dieser ruhigen Stimmung passte sehr schön der Abendspaziergang mit Marie, am Rande unseres Dorfes:








Freitag, 8. November 2024

Immer noch? Herbstfarben und Geschichten

 

Han Kang, die Gewinnerin des Nobelpreises für Literatur 2024 (Griechichstunden), hat ein sehr schönes und beachtenswertes Buch geschrieben. Es ist nicht ihr erster preisgekrönter Roman, und der, nicht nur für mich - viele Fragen aufwirft.

Ich meine das Buch „Die Vegetarierin“. Es ist in Deutschland zuerst 2016 bei Aufbau erschienen. Han Kang schreibt über eine junge Frau, die aufgrund ihrer augenscheinlichen „Normalität“ einen Ehemann findet, der genau diese Eigenschaften schätzt, sie braucht, um sein eigens Sein nicht in Frage stellen zu müssen.

Doch diese, seine Frau, entwickelt über Nacht, hervorgerufen durch einen Traum, einen kompromisslosen Vegetarismus, der ein Veganismus ist. Es gibt künftig keine tierischen Produkte mehr für sie und deshalb auch nicht für ihren Ehemann. Die gesamte Familie steht Kopf und will die Protagonistin zum einen überreden, zum anderen sogar zwingen, tierische Produkte zu verzehren. Das geht natürlich - und Göttin sei Dank - schief und wir tauchen ein in das neue Leben der Yong-Hye.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung wird auf dem Buchcover zitiert: "Ein seltsam verstörendes, hypnotisierendes Buch über eine Frau, die laut ihrem Ehemann an Durchschnittlichkeit kaum zu übertreffen ist- bis sie eines Tages beschließt, kein Fleisch mehr zu essen."

 


Ich war sehr neugierig auf das Buch, weil ich die Perspektive, die Gedanken des Ehemannes so überaus grotesk empfunden habe. Wer, bitte! sucht sich einen Partner, eine Partnerin unter der Prämisse der Durchschnittlichkeit? Oder ist in einem dunkleren Zusammenhang Durchschnittlichkeit mit Gewohnheit, dem was wir kennen, zu assoziieren? Suchen wir immer nur das Bekannte? (Darauf gibt es Hinweise ...)  Stets darauf bedacht, keine Unsicherheiten zu erleben, um in uns selbst autark und zweifelsfrei zu bleiben?

Diese Fragen bewegen mich auch nach der Lektüre des Buches. Wer, welche bin ich? Welche Erwartungen lebe ich? Sind es meine Erwartungen oder die von Familien, von Gesellschaften, von Umständen? Finde ich Schnittstellen zu meinem Leben? Möchte ich die überhaupt finden?

*****

Im „Heute“ (was ist das schon?) stricke ich mehr oder weniger absichtsfrei, jedoch sehr gern beim Lesen bzw. Hören von Büchern. Ich bin keine geübte Strickerin und schaffe innerhalb eines Jahres nur ein Schultertuch und Teile eines Pullovers und kleinere Arbeiten. Die möchte ich heute gerne zeigen, als Ergänzung zu meinen Gedanken und meinen gelesenen Büchern. Es tut meinem Geist gut, dass meine Hände eine "Handarbeit" haben, die sie weg tragen aus meinen Gedanken. Mit jeder Masche, die gestrickt oder gehäkelt wird, werden sie ruhiger und ich entspanne meinen Geist, meinen Körper, mich.



Die Lyrik dazu, heute? 


Jeder Mensch erfindet sich früher oder später

eine Geschichte, die er für sein Leben hält,

oder eine ganze Reihe von Geschichten.


Max Frisch



Was könnt eine dem hinzufügen?  Hat dieses Thema eine Bedeutung für dich? Was sind deine Gedanken dazu? Magst du sie teilen?









Samstag, 2. November 2024

Ich liebe Romane,

doch ich bin keine Liebhaberin von Kurzgeschichten. Entweder ich habe mich gerade eingelesen in eine Situation und schon ist sie zu Ende - oder die Geschichte endet irgendwie unfertig - oder das Genre liegt mir einfach per se nicht. Das ist legitim und wird (für mich) bestätigt in dem kleinen Buch von Doris Dörrie "Mitten ins Herz" aus der Diogenes Bibliothek. Der kleine Band enthält die besten Kurzgeschichten von Doris Dörrie, lese ich auf dem Umschlag. Hmm, denke ich, wie wunderschön! Doch warum komme ich nicht hinein, in diese Welt, in die Welt der Kurzgeschichten. Was habe ich nicht verstanden?


Ich drehe das Büchlein um und lese einen so schönen und klugen Satz, der mich freut und mir doch wieder Lust macht, auf den Inhalt dieses Buches - und den ich gerne mit euch teilen möchte:


Doris Dörrie schreibt:

"Wir werden immer mehr reduziert auf ein vorgegebenes, genormtes Leben. Ich glaube, wir müssen uns wieder auf unsere eigene Kraft besinnen, was wir - nur für uns - wirklich sein möchten. Das ist schwer geworden, weil wir umzingelt sind von Bildern dafür." 

 

*****

Wie gerne möchte ich das. Ein nicht genormtes Leben leben, mich auf meine Kraft besinnen und darauf, was wichtig ist für mich. Ich möchte mir meine eigenen Bilder malen, die mir ein Gespür geben für das Wesentliche und die trotzdem meine Bilder sind, die mich begleiten, auf meinem Weg.